Bildungskleeblatt

Am 25.September wurde in einer eigentlichen Monstersitzung die „Bildungskleeblatt“ genannte grosse Bildungsreform des Kantons Aargau im Grossen Rat mit Wirkungszielen und Leitsätzen beraten und verabschiedet.

Nachdem der Grosse Rat das Bildungskleeblatt beschlossen hat, beklagen SVP und FDP lautstark eine Niveausenkung an unseren Schulen. Vor allem bei der Lehrerschaft will man damit punkten. Doch diese wird sich daran erinnern, dass es genau diese beiden Parteien waren, die in den vergangenen Jahren durch massive Sparvorlagen Schule und Personal geschwächt und dadurch tatsächlich eine Niveausenkung in Kauf genommen haben. Die vom Parlament beschlossene integrative Schule ist weder teuer noch Niveau senkend oder leistungsfeindlich. Im Gegenteil: Es ist empirisch belegt, dass leistungsstarke Schüler in leistungsgemischten Gruppen wissensmässig gleich viel und vor allem in der Kompetenz der Präsentation, Festigung und den Lerntechniken mehr lernen als wenn sie unter sich wären. Auf der andern Seite zeigen Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten – auch das ist wissenschaftlich belegt – eindeutig grössere Lernfortschritte. Das Lernen von stärkeren Schülern und die Auseinandersetzung mit anspruchsvolleren Aufgaben hat eine klar stärker motivierende Wirkung. Das setzt natürlich einen Unterricht voraus, der Vielfalt der Sozialformen ebenso zulässt wie Differenzierung der Ansprüche. Vorne steht nicht einer, der eine Lektion lang spricht und mit allen gleichzeitig das gleiche macht, sondern die Unterrichtsformen wechseln sich ab und der Unterricht ist individualisiert. Die SVP hat durch ihr Festhalten am bisherigen System keinen einzigen konstruktiven Vorschlag gemacht, wie das Problem der Realschule als Restschule gelöst werden kann. Stattdessen hat sie auch noch die Eingangsstufe und die Tagesstrukturen abgelehnt. Die FDP hatte allen Ernstes ein Progymnasium verlangt. Das allerdings wäre tatsächlich teuer gekommen und hätte die Durchlässigkeit unserer Oberstufe gegenüber heute noch weiter verringert. Der duale Auftrag der heutigen Bezirksschule wäre definitiv verschwunden und etwa 17 Oberstufenstandorte hätten ihre Schule schliessen müssen. Die beiden Parteien würden besser einen demokratisch gefällten Entscheid akzeptieren und mithelfen, unsere Schule zu verbessern, statt mit unqualifizierten Schlagworten auf Stimmenfang zu gehen.

Erziehungsrat auf dem Holzweg

Der Erziehungsrat des Kantons Aargau schlägt im Rahmen der Vernehmlassung zum Bildungskleeblatt die Schaffung eines Langzeitgymnasiums vor. Offenbar konnte sich eine Mehrheit mit dieser Option, die nicht Bestandteil des vom Parlament im September 2007 beschlossenen Planungsberichts ist, anfreunden. Bis zu 10% der begabtesten Primarschulabsolventen sollen direkt nach der 6.Klasse in ein Untergymnasium übertreten. Dass dies, wie vom Erziehungsrat behauptet, kaum nennenswerte Auswirkungen auf die Finanzen und die vorgesehenen Oberstufenstandorte haben soll, ist äusserst zweifelhaft, denn der Abgang von ca. 100 Abteilungen, die neu an den Kantonsschulen eingerichtet werden müssten, führt überall dort zu Schliessungen von Oberstufenstandorten, wo die geforderte Grösse von 11 Abteilungen nicht mehr erreicht werden kann. Auch pädagogisch vermag das Langzeitgymnasium nicht zu überzeugen. Es steht klar im Widerspruch zum integrativen Ansatz der von Parlament und Regierung geplanten Reform. Die Durchlässigkeit unserer Oberstufe würde gegenüber heute noch weiter verringert und die Auswirkungen auf das Niveau der verbleibenden Abteilungen in der Oberstufe kann man sich leicht ausrechnen. Die Schere zwischen dem möglichen Schulerfolg von Kindern aus bildungsnahen Verhältnissen und solchen aus bildungsfernen Verhältnissen würde sich noch vergrößern. Der duale Auftrag der heutigen Bezirksschule würde endgültig verschwinden.

Hochbegabte sollen und können auf jeden Fall gefördert werden, aber ihre Förderung erfolgt an der Sekundarstufe I im Rahmen der integrativen Schulung. Dazu braucht der Aargau kein teueres Langzeitgymnasium, das selbst dort, wo es besteht, auf immer größere Kritik stößt. So verlangen die Bildungsdirektoren der 23 größten Schweizer Städte – unter ihnen auch solche, deren Kantone Langzeitgymnasien führen - deren Aufhebung. Die Bildungsdirektoren haben einen entsprechenden Forderungskatalog an die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) gesandt. Sie propagieren stattdessen leistungsmäßig durchmischte Klassen mit Niveauzügen in einzelnen Fächern, so wie sie viele Kantone bereits erfolgreich führen und wie sie der Aargau einführen will. Auch die Kantone Basel-Stadt und Basel-Land planen ihre Reform in diese Richtung. Die Einführung eines Langzeitgymnasiums läuft also auch den Bestrebungen einer gemeinsam ausgestalteten Sekundarstufe I im Bildungsraum Nordwestschweiz zuwider und dürfte im Grossen Rat zu Recht keine Chance haben.