Gedanken im Nachgang zur Abstimmung über die Anti-Minarett-Initiative

Wer im Vorfeld der Minarett-Initiative an Podien war und anschließend die Diskussionen verfolgte, wer die Leserbriefspalten las und wer die einmal mehr geschickte Kampagne der SVP und das vergleichsweise fast vollständige Abseitsstehen der Gegner realisierte, der konnte eigentlich nur zum Schluss kommen, dass die Anti-Minarett-Initiative angenommen würde.

Auf der ganzen Welt leidet nun das Image der Schweiz. Kaum einer versteht, wie ausgerechnet in der direktdemokratischen, viersprachigen Schweiz, dem Depositarstaat der Genfer Konventionen, ein solches Ergebnis möglich ist. Und wenn wir sehen, aus welchem Lager frenetischer Applaus kommt, muss uns das nackte Grauen packen.

Dabei ging es ja nur vordergründig gegen die  Minarette, denn eigentlich war allen klar, dass ein Verbot dieser Türmchen kein einziges der vielen angesprochenen Probleme lösen würde. Dass die Initiative im Widerspruch zur Bundesverfassung und zur Europäischen Menschenrechtskonvention steht, interessierte kaum. Eine erdrückende Mehrheit wollte einfach „ein Zeichen setzen“. 

Zeichen setzen!

Die SVP wollte ein Zeichen gegen die angeblich „schleichende Islamisierung“ setzen. Ausgerechnet diese Partei, deren Führer seinerzeit gegen das neue Eherecht war, die gegen die Mutterschaftsversicherung und  für die Abschaffung von Gleichstellungsbüros votierte, hatte die diskriminierten Frauen entdeckt. 

Evangelikale Kreise um die EDU sahen die christliche Kultur in Gefahr und wollten ein Zeichen für das Christentum setzen.

Frauen wollten ein Zeichen gegen das Macho-Gehabe und die Diskriminierung der Frauen setzen.

Jugendliche wollten ein Zeichen gegen diejenigen Ausländergruppen setzen, von denen sie häufig aus nichtigen Gründen im Ausgang angepöbelt oder zusammengeschlagen werden.

Und schliesslich gibt es viele Verlierer der Globalisierung, die  Dampf ablassen und ihrem Frust und ihrer Ohnmacht Luft machen wollten:

  • Der Konfliktfall mit Libyen.
  • Der internationale Druck auf das Bankgeheimnis.
  • Die Infragestellung der Steueroase Schweiz.
  • Die Angst vor gesellschaftlichen Entwicklungen.
  • Die unterschätzte Zuwanderung im Rahmen der Personenfreizügigkeit.
  • Die Wirtschaftskrise und die gestiegene Arbeitslosigkeit.

Das sind die realen, ernst zu nehmenden Ängste und Probleme der Menschen in diesem Land und nicht ein paar Türmchen. Zu viele fühlten sich damit allein gelassen.

Lösungen statt Kulturkampf

Es braucht glaubhafte Antworten und Lösungen statt weiteren scharfen Islamdebatten und Verboten. Verbote von Kopftüchern, Burkas und islamischen und jüdischen Friedhöfen heizen bloss den Kulturkampf an und lösen kein einziges Problem sondern schaffen neue. Wer meint jetzt opportunistisch auf den Zug der SVP aufspringen zu müssen, der irrt. Wer sind dann die nächsten? Die Juden, die Homosexuellen, die Fahrenden, die Suchtmittelabhängigen?

Die Burkas sind im Übrigen kein  Problem in der Schweiz, sie sind kaum je ersichtlich.  Touristinnen aus dem arabischen Raum tragen öfters  einen schwarzen Tschador. Im Übrigen steht nirgends im Koran etwas von einer Ganzkörperverhüllung, sondern diese hat  kulturelle Hintergründe.

Die Zwangsheirat ist heute schon verboten und gilt als Nötigung, die mit bis zu 3 Jahren Haft bestraft wird. Auch die Zwangsheirat hat  kulturelle und kaum  religiöse Hintergründe. Es ist bereits eine strafrechtliche Verschärfung geplant. Zwangsheirat  soll künftig als qualifizierte Nötigung gelten, damit ein höherer Strafrahmen möglich wird.

Keine Religion schreibt Mädchenbeschneidungen vor. Aktuell wird das Schweizerische Strafgesetz verschärft: Für Genitalverstümmelung werden Freiheitsstrafen bis zu 10 Jahren möglich, auch wenn sie im Ausland gemacht wurden.

Zum Schwimmunterricht  entschied das Bundesgericht dieses Jahr, dass dieser von allen Kindern  besucht werden muss.

Es zeigt sich also, dass all diese Themen nur Scheingefechte sind, um weiter Stimmung gegen die vermeintlichen Sündenböcke zu machen und von den Ängsten zu profitieren.

Was es braucht sind ganz andere Massnahmen:

  • Es braucht den Dialog und den Austausch  mit den Muslimen und den andern Religionen statt die Konfrontation.
  • Es braucht eine Verstärkung der Integrationsbemühungen statt der weiteren Ausgrenzung.
  • Es braucht vertrauensbildende Massnahmen wie interkulturelle Anlässe statt dem Schüren von diffusen Ängsten.  

Die Abstimmungsanalyse zeigt, dass solche Bemühungen fruchten:

Klar gegen die Initiative wurde nämlich  in den grossen Zentren gestimmt – gerade dort, wo der Anteil der Muslime relativ hoch ist (im Jahr 2000 etwa 6 Prozent in Zürich und Lausanne, 7 in Basel und in Winterthur). Das spricht dafür, dass das Zusammenleben gut funktioniert und konkrete Erfahrungen die Angst vor der „fremden“ Kultur vermindern. Die höchste Ablehnung finden wir in ländlichen Gemeinden, in denen die Leute kaum je Kontakt zu Muslimen haben. Hier scheint die Angst vor dem Verlust der traditionellen christlichen Werte gross.  Es braucht deshalb auch eine Breite Debatte über unsere eigene Identität.

Und schliesslich braucht es sozial-, bildungs- und sicherheitspolitische Massnahmen zur Verbesserung der individuellen Lebenssituation, der Ausbildung  und des Sicherheitsbedürfnisses der Bevölkerung.

  • Gerechte Löhne, damit die Schere zwischen Arm- und Reich nicht noch weiter auseinanderdriftet (Abzockerinitiative, 1:12 Initiative).
  • Steuererleichterungen für Familien mit mittleren und bescheidenen Einkommen statt immer noch mehr Erleichterungen für hohe Einkommen und Vermögen.
  • Höhere Prämienverbilligungen bei den Krankenkassen.
  • Investitionen in die  schulische und berufliche Bildung, insbesondere im Gesundheitswesen und in der Technik  (Fachschulen, höhere Fachschulen, Fachhochschulen), so dass sich wieder genügend Schweizer/innen  für die zu besetzenden Stellen finden.
  • Intensivierung des Staatskundeunterrichts an der Volksschule.
  • Massnahmen zur Prävention und Eindämmung von Gewalt.(Jugendarbeiter/Secondos, Kulturvermittler, Jugendpolizei, genügend Polizei an neuralgischen Orten)
  • Konsequentes, schnelles Ahnden von Straftaten wie Drohungen oder Körperverletzung

Zuletzt möchte ich zu bedenken geben, dass immer öfters Initiativen zur Abstimmung gelangen, die mit den Menschenrechten nicht oder nur schwer vereinbar sind. (Verwahrungsinitiative, Unverjährbarkeitsinitiative, Anti-Minarett-Initiative). Obwohl wir kein Verfassungsgericht haben, müssten wir uns vielleicht doch über neue Verfahren für die Gültigkeitserklärung von Initiativen Gedanken machen. Es geht nicht darum, das Volk zu bevormunden, aber auch vom Volk gefällte Entscheide müssen in den rechtsstaatlichen Rahmen eingebettet sein. Die Stärke einer Demokratie zeigt sich schließlich  auch daran, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht.