KV Diplomrede BBZ Freiamt, Wohlen, vom 29.Juni 2012

Vom Fällen guter Entscheide

Sie erhalten heute das eidgenössische Fähigkeitszeugnis als Kauffrau, bzw. Kaufmann und schliessen damit einen weiteren wichtigen, wahrscheinlich aber nicht  letzten, Ausbildungsabschnitt ab. Mit der bestanden Lehrabschlussprüfung – heute heisst das „Qualifikationsverfahren“ -  haben Sie bewiesen, dass Sie über die geprüften Methoden-, Sozial- und Fachkompetenzen verfügen, die Sie befähigen, im kaufmännischen Berufsfeld produktiv tätig zu sein. 

Sie sind kommunikativ und können situationsgerecht auftreten. Sie zeigen Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft, Sie sind flexibel, konfliktfähig und Sie können mit Belastungen umgehen. Sie sind team- und verhandlungsfähig, verfügen über angepasste Umgangsformen, üben sich in ökologischem Verhalten und Sie sind sich bewusst, dass Lernen ein lebenslanger Prozess ist. Die Liste der zu erlernenden Fertigkeiten, wie sie im Ausbildungsreglement  in den Ausbildungszielen formuliert sind, liesse sich noch fortsetzen. Aber Hand aufs Herz: Wer von uns ist derart vollkommen, all diese Ziele zu erfüllen? Wir bemühen uns ein Leben lang darum in Beruf, Politik, Familie, Vereinen, Sport und Freizeit, diese Kompetenzen und Tugenden zu üben und zu leben. Je besser wir sie beherrschen, desto erfolgreicher und zufriedener gehen wir durchs Leben. Und je mehr wir uns mit andern und für andere engagieren, desto kompetenter werden wir erst. Eine hohe Fach- und Sozialkompetenz befähigt uns auch, gute Entscheide zu fällen. Wir alle müssen ständig und immer wieder Entscheide fällen, die unser eigenes Leben, dasjenige unserer Mitmenschen oder unsere Umwelt direkt oder indirekt beeinflussen. Wir tragen dann auch die Verantwortung dafür. Deshalb sollten wir uns sorgfältig auf Entscheide vorbereiten indem wir uns umfassend informieren und  dem Meinungsbildungsprozess genügend Zeit einräumen.

Wie fällten Sie Ihre Entscheidung?

Versetzen Sie sich kurz zurück in Ihr letztes oder vorletztes Jahr an der Volksschule. Da mussten Sie sich für Ihre künftige Ausbildung entscheiden. Wie sind Sie dabei vorgegangen? Was hat Sie bewogen, sich gerade für diese Lehre zu entscheiden? Wodurch liessen Sie sich allenfalls beeinflussen? Welche Rolle spielten Eltern, Lehrpersonen, Kolleginnen und Kollegen für Ihre Wahl? Hat sich Ihr Berufswunsch, während der Lehre gefestigt, oder tendieren Sie eher dazu, etwas ganz anderes zu tun?

So vielfältig Ihre individuellen Antworten auch ausfallen, eines haben sie gemeinsam: Sie alle hatten einen Entscheid getroffen, anschliessend die Verantwortung wahrgenommen und die Anforderungen der Ausbildung erfüllt, wozu ich Ihnen herzlich gratuliere. Sie werden künftig Entscheide vielleicht eigenständiger und vor dem Hintergrund Ihrer breiteren Erfahrung fällen, aber immer werden Sie auf die Meinung anderer und auf ausgewogene Informationen angewiesen sein, damit Sie auch gut entscheiden können.

Was aber, wenn wir nur einseitig informiert sind?

In der Regel informieren wir uns ausführlich über ein Thema, bilden uns eine Meinung und entscheiden dann. Was aber, wenn wir nur einseitig informiert sind, wenn andere für uns eine Vorauswahl treffen, indem sie bestimmen, welche Informationen wichtig sind und welche nicht? Können wir dann noch sachlich fundiert und eigenverantwortlich  entscheiden?
Wir denken, dass wir frei und unbeeinflusst und in Kenntnis aller Fakten entscheiden können und meinen, in unserer freien, demokratischen Welt seien die Voraussetzungen dazu gegeben. Doch ist dem wirklich so?

Lassen Sie mich eine kleine Umfrage machen. Ich stelle Ihnen 5 Fragen: Wer liest regelmässig Gratiszeitungen wie „20 Minuten“ oder „Blick am Abend“? Wer liest regelmässig eine abonnierte oder gekaufte Tageszeitung? Wer von Ihnen schaut  Privatsender wie RTL, Pro 7 usw.? Wen nerven  die  Radio- und TV Gebühren für die öffentlich- rechtlichen Radio- und TV Sender DRS und SF? Wer sucht öfters mal Informationen bei Google? Sie werden gleich hören, worauf ich hinaus will.

Der Einfluss von Gratismedien, Google, Facebook und Co

Verstehen Sie mich nicht falsch. Nichts gegen Gratiszeitungen, Privatsender und Google. Ich lese, schaue und brauche sie auch, oftmals täglich. Der Vorteil von Internet, Online- und Gratismedien ist, dass wir innert Sekunden zu unglaublich viel Information gelangen. Aber ist sie auch bedeutsam? Und wer wählt eigentlich aus, welche Informationen wir lesen, hören oder sehen dürfen? 
Bei privaten Fernsehstationen sind es in erster Linie die Einschaltquoten, die darüber entscheiden, was gesendet wird oder nicht, bzw. nicht mehr gesendet wird. Hohe Einschaltquoten garantieren schliesslich hohe Werbeeinnahmen und damit die Finanzierung des Senders. Oft finden wir dafür ein oberflächliches, seichtes Unterhaltungsprogramm und – falls überhaupt - ein Nachrichtenprogramm, welches sich in unkritischen oder einseitigen Beiträgen erschöpft. Bei den Gratiszeitungen gilt das Motto  „Verkürzen bis zum Maximum“. Jeder Artikel muss innert 20 Sekunden lesbar sein, dazu gehört ein grosses, möglichst spektakuläres Bild. Thematisch geht es vor allem um „Unfälle und Verbrechen“, ein bisschen Sport und was unsere Unterhaltungsgesellschaft sonst so interessieren soll. Und wie steht es mit dem so freien Internet? Unsere digitalen Monopolisten wie Facebook und Google bestimmen immer mehr, was wir sehen oder nicht sehen, was verbreitet wird und was nicht. Unsere digitalen Datenspuren, die wir mit unserer IP Adresse oder als eingeloggter Nutzer im Internet hinterlassen machen’s möglich: Facebook schlägt uns nur Freunde und Gruppen vor, die zu unserem Profil passen. Google-Abfragen und Werbung fallen bei gleichem Stichwort je nach Nutzerprofil verschieden aus. Wir finden das, was früheren Suchanfragen gleicht an oberster Stelle und die entsprechende Werbung gleich dazu. Andere Ansichten, unbekannte Themen und Inhalte werden systematisch ausgeblendet. Natürlich kann das ein Vorteil sein, weil wir schneller finden, was uns interessiert. Andererseits  steuern Google, Facebook und weitere Internetmedien zunehmend unsere Wahrnehmung, vielleicht, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Sie beeinflussen damit unsere Meinung in eine bestimmte Richtung – man könnte auch von Manipulation sprechen. Ähnlich verhält es sich mit den bereits angesprochenen Gratis-Medien. Im Gegensatz zu diesen Gratis-Zeitungen finden Sie in einer abonnierten Tageszeitung umfangreiche,  gut recherchierte Artikel zu bedeutsamen Themen und eine Vielfalt unterschiedlicher Kommentare und Ansichten und Sie können sich umfassend über Pro und Contra informieren. Das kostet halt. Und wenn wir uns über die Billag-Gebühren fürs  Schweizer Fernsehen ärgern, sollten wir daran denken, dass ohne gebührenfinanziertes Fernsehen wohl noch die letzten Themen, die keine hohen Einschaltquoten versprechen, verschwinden würden. Damit aber würde gerade in unserer vielfältigen Schweiz ein wichtiges Stück an kultureller  Identität verloren gehen und viele Sendungen, die zur Meinungsvielfalt beitragen, würden verschwinden.

Kritisch bleiben

Wir müssen ja nicht verzichten auf die Annehmlichkeiten des Internets und seiner zahlreichen Anbieter und auch nicht auf die Unterhaltung von Gratismedien und Privatsendern – ich konsumiere sie alle auch. Ich plädiere aber dafür, dass wir uns der Macht dieser Medien bewusst sind und dass wir sie mit der nötigen kritischen Distanz gebrauchen.  Ein fundierter Meinungsbildungsprozess  ist die unabdingbare Voraussetzung  für das Fällen guter Entscheide.  Deshalb möchte ich Sie dazu auffordern: Informieren Sie sich breit und umfassend. Setzen Sie sich stets auch mit den Argumenten der Gegner auseinander und lassen Sie sich nicht abspeisen durch millionenschwere Kampagnen und Monopolmedien, die für Sie auswählen!  Wählen Sie selbst und nehmen Sie sich genügend Zeit. Bleiben Sie kritisch!  Ich wünsche Ihnen auf Ihrem weiteren Lebensweg viel Freude und Erfolg und genügend Ausdauer für Ihren Meinungsbildungsprozess auf dass Sie gute Entscheide fällen!