Rede zum 1.Mai 2008 in Wohlen

Sozialer Fortschritt – jetzt ! heisst das Leitmotiv des heutigen 1.Mai. Natürlich denken wir dabei an den Erhalt und die Stärkung unserer Sozialwerke, an ein flexibles Rentenalter, an eine erstklassige Gesundheitsversorgung für alle, an faire Arbeitsbedingungen und Löhne für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, an eine zeitgemässe Familienpolitik, mit einem bezahlbaren Angebot an Betreuungsplätzen und schliesslich an einen gut ausgebauten Service public als Garant für die Verbindung von Wohlstand und Gerechtigkeit.

Öffentliche Dienstleistungen festigen den sozialen und interregionalen Zusammenhalt, unterstützen eine nachhaltige Entwicklung und verhindern die Ausgrenzung sozial Schwacher. Sie schaffen und sichern Arbeitsplätze. Ein guter Service public ist ein entscheidender Faktor für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Öffentliche Verwaltung, Justiz, Polizei, Verteidigung, Sozialversicherungen; Energie- und Wasserversorgung; Abwasser- und Abfallbeseitigung; Post und Bahn; Gesundheits- und Bildungswesen; Kulturbetriebe, Rundfunk und Kantonalbanken umfassen ungefähr 22% der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung in der Schweiz. Obwohl die Bereiche gut funktionieren werden bürgerliche Kreise nach wie nicht müde, deren Privatisierung voran zu treiben und behaupten, Private würden diese Dienstleitungen wirtschaftlicher als der Staat ausführen. Diese Behauptung ist gemäss einer breit angelegten Studie der Konjunkturforschungsstelle der ETH aus dem Jahre 2006 (Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Service public in der Schweiz) unhaltbar. Die Studie hat zudem ergeben, dass der Service public bezüglich seiner Effizienz im internationalen Vergleich sehr gut abschneidet.

Keine Privatisierung der Kantonalbank

Im Aargau will der Regierungsrat unsere Kantonalbank in eine Aktiengesellschaft umwandeln und 49% der Bank an Private verscherbeln. Es geht nicht an, dass die erfolgreiche Bank, die dem Kanton jährlich von ihrem Gewinn Millionen abliefert (2007 waren es 50 Millionen), zuerst teilweise und später ganz zu verkauft wird. Damit würde im Aargau eine wichtige Bank fehlen, die gegen das Monopol der Grossen (UBS, CS) wirken und sich weiterhin volkswirtschaftlich und sozial verhalten kann. Während nämlich für eine privatwirtschaftliche Aktiengesellschaft als wirtschaftliche Zielsetzung grundsätzlich die Gewinnmaximierung Leitlinie sein muss, hat die Kantonalbank eben die verfassungsmässige Aufgabe zur Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Kantons beizutragen. Sie macht dies auch auf ihre ganz spezielle Art, indem sie gute Projekte unterstützt. Für kleine und mittlere Unternehmen spielt die unsere AKB eine entscheidende Rolle. Zahlreiche Kantonalbanke zeichnen sich durch ihre langfristige Unternehmensfinanzierung aus. Sie erfüllen zudem mit ihrer Orientierung am Gemeinwohl eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe. Solange dieser Grundsatz gilt, ist die Rechtsform der selbständigen Staatsanstalt mit direkter Kontrolle und Aufsicht durch das Parlament für mich gegeben. Die AKB hat hervorragende Ergebnisse erarbeitet, der Kanton hat in den letzten 10 Jahren in Form von Zinsen, Ablieferungen, Ausfinanzierung der Pensionskasse und über die Eigenkapitalzunahme mit 1,61 Milliarden von seiner Kantonalbank profitiert. Warum soll dieser Erfolg, der uns allen gehört, privatisiert werden. Das ist absurd. Der Versuch, die florierende, im Kanton breit abgestützte und verwurzelte Kantonalbank mit ihren 230 000 Kunden, 639 Mitarbeitern und 75 Lernenden (12%!) zur Aktiengesellschaft zu machen, ist übrigens bereits 2003 am entschiedenen Widerstand von Bankrat und Geschäftsleitung der AKB gescheitert. Der Bankrat denkt heute nicht anders. In einem ganzseitigen Interview vom 21.April in der AZ bestätigt Bankratspräsident Arthur Zeller (ehemaliger FDP Präsident), dass es aus unternehmerischer Sicht völlig unnötig ist, die AKB teilweise oder ganz zu privatisieren. Jetzt spricht man sogar davon, die Rechtsformänderung ohne Verfassungsänderung durchzuführen, um eine Volksabstimmung zu umgehen. Sollte es dazu kommen, muss das Referendum ergriffen werden, damit das Aargauer Stimmvolk das letzte Wort hat.

Das Bildungskleeblatt ist die richtige Reform

Nicht zuletzt möchte ich aber auch auf die Bildung zu sprechen kommen, denn auch hier braucht es den sozialen, zeitgemässen Fortschritt jetzt. Seit der Annahme des Bildungsrahmenartikels am 21.Mai 2006 (81.6% ja im AG) steht der Aargau vor der Herausforderung, seine Volksschule zu erneuern und interkantonal zu harmonisieren. Beim Schuleintrittsalter, bei der Schulpflicht, der Dauer und den Zielen der Bildungsstufen, den Übergängen und der Anerkennung von Abschlüssen muss er mit den andern Kantonen gleich ziehen. Warum nicht im selben Zug einen pädagogischen Mehrwert schaffen? Unsere Volksschule ist zwar gut, aber sie hat Mängel. Noch immer entscheidet die soziale Herkunft über den Bildungserfolg der Kinder. Bereits zu Beginn der 1.Klasse herrschen riesige Unterschiede, insbesondere beim Wortschatz zwischen Kindern aus privilegierten und solchen aus benachteiligten Familien oder solchen mit Migrationshintergrund. Heute benötigen 25 Prozent aller Kinder durch die Repetition eines Kindergartenjahres oder den Einstieg in die Primarschule über die Einschulungsklasse ein zusätzliches Schuljahr. Hier setzt das Bildungskleeblatt ein: Mit der Einführung der Eingangsstufe , wahrscheinlich wird es die Basisstufe sein – also der Zusammenlegung von Kindergarten und 1.+2. Klasse der Primarschule werden die Kinder in altersgemischten Abteilungen dem Alter angemessen und entwicklungsgerecht gefördert und gefordert. Mit dem Sozialindex sollen Schulen mit besonders vielen fremdsprachigen Kindern und solchen aus benachteiligten Familien bis zu 40% mehr Lehrerstellen bekommen und schliesslich möchte man mit den Tagesstrukturen auch ein Lernangebot nach pädagogischen Grundsätzen einführen, wo die Kinder das mitbekommen, was ihnen zu Hause vielleicht fehlt. Auch an unseren Oberstufen muss sich etwas ändern. In unseren Kleinklassen sitzen 63% fremdsprachige, in der Real 43%, in der Sek 20% und in der Bezirksschule 9%. Es kann ja nicht sein, dass Jugendliche bloss aufgrund ihrer Fremdsprache die schlechteren Chancen haben. Das ist aber so. Gemäss einer Evaluation der Einschulungs- und Kleinklassen im Aargau aus dem Jahre 2002 (Uni Zürich, Priska Sieber) sind die vorherrschenden Zuweisungspraktiken willkürlich und somit ungerecht und dem Volksschulgedanken widersprechend. 50% der Schüler sitzen in Kleinklassen, obwohl sie da gar nicht hingehören. Kaum einer findet den Anschluss in der „Normalschule“ wieder.

Auf der Sekundarstufe I sollen zwei leistungsorientierte Schultypen unter demselben Dach geführt werden: Die Sekundarschule Typ B, die auf eine Berufsausbildung, und die Sekundarschule Typ M, die auf eine Ausbildung an einer Berufsmaturitätsschule oder an einer allgemein bildenden Maturitätsschule vorbereiten. Beide zusammen ersetzen Bezirks-, Sekundar- und Realschule. Schülerinnen und Schüler der Kleinklasse, des Berufswahljahrs und des Werkjahrs werden in der Sekundarschule Typ B integriert und erhalten zusätzlich heilpädagogische Unterstützung. Das verbessert ihre Chancen beim Berufseinstieg wesentlich. Wir können uns keine Jugendlichen ohne Ausbildungsplätze und Lehrstellen leisten.

Die Fächer Mathematik, Französisch und Englisch werden in schultypenübergreifenden Niveaugruppen erteilt. In diesen werden Schülerinnen und Schüler mit einem ähnlichen Leistungsniveau unterrichtet.

Das Kleeblatt ist ein Konzept und erst noch ein in sich konsistentes. Auch wenn die einzelnen Teile noch Mängel haben oder zu diskutieren geben so dient es eindeutig der Verbesserung der Chancengleichheit . Deshalb sollten sich auch Kritikerinnen und Kritiker konstruktiv damit auseinander setzen, statt es – wie gewisse Rechtsbürgerliche es tun - in Bausch und Bogen zu verdammen. Nur wenn wir die wesentlichen und guten Ideen des Bildungskleeblattes umsetzen und auch die nötigen Mittel und Ressourcen dazu sprechen, gibt es den sozialen Fortschritt – und den wollen wir doch!

Tragen wir Verantwortung für unsere Kinder, die die Zukunft unserer Gesellschaft sind. Ich wünsche euch weiterhin einen schönen 1.Mai, Ideen, Freude, Ausdauer und Mut am Gestalten einer sozialen und gerechten Schweiz auf die wir im In- und Ausland stolz sein können!