Rede zum 1.Mai 2011 in Wohlen und Aarau

Lohnschere – Vermögensschere - Steuerschere

Seit zwanzig Jahren wächst der Druck auf die Löhne – vor allem auf die tiefen und mittleren. Gleichzeitig sind die hohen und höchsten Löhne explodiert. Die Lohnschere geht noch immer weiter auseinander. Dazu gibt es eine Vermögensschere. 3 Prozent der Reichsten in unserem Land besitzen gleich viel Vermögen wie die restlichen 97 Prozent zusammen.  Und wer hat – dem wird noch gegeben. Es gibt auch noch eine  Steuerschere.  Von den Steuersenkungen haben in den letzten 10 Jahren nämlich vor allem die Grossverdiener und Grossaktionäre profitiert – auch im Kanton Aargau, wo bei der letzten Steuergesetzrevision für alle der Ausgleich der kalten Progression gestrichen wurde, um die Einkommens-  und Vermögensteuer der Spitzenverdiener zu senken. Das haben wir der völlig verfehlten Steuerpolitik der Bürgerlichen zu verdanken.  Und es soll in diesem Stil weitergehen. Schon wieder soll in unserem Kanton die Vermögenssteuer gesenkt werden (Ausfall Kanton 15 Mio, Gemeinden 14,2 Mio), obwohl 2/3 der Steuerzahler nichts davon haben, weil sie gar kein Vermögen versteuern. Diese 2/3 aber  leiden unter steigenden Krankenkassenprämien und Gebühren. Für die geplanten  Steuersenkungen nimmt man im Aargau Ausfälle von 263,5 Millionen Franken (statisch berechnet)  in Kauf, aber für eine Erhöhung der Prämienverbilligung oder eine moderate Erhöhung des Pauschalabzuges für Krankenkassenprämien bei den Steuern, was breite Bevölkerungsschichten und Familien entlasten würde,  hat man kein Geld. Die SP hat entsprechende Vorstösse zur Erhöhung der Prämienverbilligung gemacht – einer zur Erhöhung des Pauschalabzugs bei den Steuern ist noch hängig. Die Regierung will ihn nicht entgegen nehmen. Wir werden sehen, was das Parlament damit macht.

Milliardengeschenke an Grossaktionäre  

Bürgerliche Politiker, allen voran der damalige Bundesrat Merz, sprachen bei der Unternehmenssteuerreform, die 2008 nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50.5% angenommen wurde,  von 50 – 80 Mio nationalen Steuerausfällen und 350 Millionen bei den Kantonen. Kleine und mittlere Unternehmen, Floristen, Metzger und Apotheker sollten profitieren. Jetzt kosten die in der Reform verborgenen Steuergeschenke an Grossaktionäre  schätzungsweise 8 Milliarden. Findige Wirtschaftsanwälte sorgten damals fürs Kleingedruckte. Es reichte noch nicht, dass Grossaktionäre ihre Dividenden nur noch zu 60 statt zu 100% versteuern müssen (im Aargau sogar nur 40%) , während Löhne, Renten und Sparzinsen voll zu 100% besteuert werden. Grossbanken und Versicherungen  können seit Anfang Jahr ihre Dividenden aus den Reserven zahlen und ihre Aktionäre kassieren dabei Milliarden steuerfrei und dies sogar noch rückwirkend bis ins Jahr 1997. Das sind also vierzehn Jahre Rückwirkung für dieses Kapitaleinlageprinzip. Selbst Bundesrätin Widmer Schlumpf musste zugeben, dass alle Juristen wissen, dass man das üblicherweise nicht so macht. Aber das bürgerliche Parlament will nicht einmal etwas gegen diese Rückwirkung tun – wie dies zwei Motionen der SP verlangten -  und natürlich will sie schon gar nicht die Abstimmung wiederholen. Sämtliche Kompromiss-Vorschläge, mit welchen die Folgen der Unternehmenssteuerreform II hätten korrigiert werden können, wurden vom Tisch gefegt.

Gegen diese Politik der Sonderinteressen für einige Wenige müssen wir uns vehement zur Wehr setzen und wir müssen dies, zusammen mit dem Stimmvolk tun, dass eine nächste Abstimmung für ein Steuergesetz voller Privilegien für Einzelne nicht mehr goutieren wird.

Für Mindestlöhne und Gesamtarbeitsverträge

Dass sich der Kampf von SP und Gewerkschaften lohnt zeigt die Geschichte. Ohne unseren hartnäckigen Kampf sähe unsere Arbeitswelt heute anders aus. Es gäbe keine Gesamtarbeitsverträge (wo von heute etwa 50% der Beschäftigten in der Schweiz profitieren), keine angemessenen Löhne, keine humane Arbeitszeiten und Massnahmen zum Arbeitsschutz, keine AHV, Unfall- und Arbeitslosen- und Mutterschaftsversicherung.

An vorderster Stelle steht heute einmal mehr unser Einsatz für anständige Löhne.

Fast jeder 10. Arbeitnehmer, d.h. ca. 300 000 Frauen und 100 000 Männer müssen zu Tieflöhnen arbeiten, von denen sie nicht leben können. Das heisst, sie verdienen weniger als Fr. 3500.- für einen 100% Job. Das Problem liegt heute in jenen Branchen, in denen keine Gesamtarbeitsverträge bestehen, also z.B. im Detailhandel, in der Reinigung, Landwirtschaft, Textilindustrie, bei Call-Centern, im Coiffeur- und Kosmetikgewerbe.  Auch heute noch verdienen Frauen immer noch weniger als Männer – die Lohndifferenz beträgt immer noch 19%. Und dies trotz dem Gleichstellungsgesetz von 1996, das jegliche Art von Diskriminierung verbietet. Das ist ein Skandal.

Wenn wir heute für einen Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde, bzw. 4000 Franken pro Monat kämpfen, dann wollen wir damit diesen Skandal beseitigen. Sicher erinnert ihr euch an die erfolgreiche Kampagne „Kein Lohn unter 3000 Franken“, die vor 12 Jahren von den Gewerkschaften gestartet wurde. Grosse Warenhäuser, aber auch das Gastgewerbe kamen damals unter Druck. Es  konnten markante Verbesserungen erreicht werden. Die Mindestlohn-Initiative ist die richtige Antwort auf den Lohndruck und sie wird die Fehlentwicklung in der Lohnpolitik korrigieren.  Jüngste Forschungen zeigen, dass Mindestlöhne zu höheren Gehältern und mehr Beschäftigung führen, weil marktmächtige Firmen die Löhne nicht mehr unbegrenzt drücken können. Und die Forderung nach Mindestlöhnen ist nichts Exotisches.  In Europa sind Mindestlohnregelungen verbreitet. 20 von 27  EU-Staaten kennen eine gesetzliche untere Lohngrenze.  Bei einer Umsetzung der Mindestlohn-Initiative müssten rund 11% der Löhne per Gesetz angehoben werden. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn wird es nicht mehr möglich sein, in der Schweiz zu einem Lohn von 10, 12 oder 15 Franken pro Stunde zu arbeiten – auch nicht in den Branchen in denen die Gewerkschaften noch schwach sind.

Ein Mindestlohn ist auch die beste Prävention gegen Lohndumping und eine wichtige Ergänzung zu den bestehenden flankierenden Massnahmen.

Wer arbeitet hat ein Recht auf einen Lohn, von dem er anständig leben kann. Es ist deshalb höchste Zeit, dass auch die Schweiz einen gesetzlichen nationalen Mindestlohn einführt!