Legislatur 2021-24 Grosser Rat: Eröffnungsansprache

Eröffnungsansprache vom 5. Januar 2021

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen

Sehr geehrter Herr Landammann, sehr geehrter Herr Landstatthalter, sehr geehrte Herren Regierungsräte, liebe Gäste

Als amtsältester Grossrat kommt mir die Ehre zu, die heutige konstituierende Sitzung der neuen Legislaturperiode 2021 – 2024 eröffnen zu dürfen und ich freue mich sehr darüber, anschliessend an die Mitteilungen, einige Gedanken, Wünsche und Hoffnungen an Sie richten zu dürfen.

Wir starten heute die 52. Legislaturperiode seit der Gründung des Kantons Aargau im Jahre 1803. Leider nicht im Grossratsgebäude, sondern wegen der Corona Pandemie hier in der Umweltarena in Spreitenbach, wo wir bereits im vergangenen Jahr einige Sitzungen abgehalten haben. Wir leben in einer sehr aussergewöhnlichen Zeit. Die Herausforderungen der Pandemie für Gesellschaft und Politik sind enorm. Möge es uns gelingen, dass wir diese Herausforderungen gemeinsam bewältigen können. Ich bin zuversichtlich, dass wir in diesem neuen Jahr einen grossen Schritt zur Überwindung der Pandemie machen werden. Ihnen  wünsche ich  allen beste Gesundheit und ein gutes neues Jahr.

1027 Personen wollten sich für diese Legislaturperiode in den Grossen Rat wählen lassen. Sie, meine Damen und Herren, haben die Wahl, bzw. die Wiederwahl geschafft. Ich gratuliere Ihnen, den 108 wieder gewählten und den 32 neugewählten Grossrätinnen und Grossräten herzlich zu Ihrer Wahl. Und natürlich gratuliere ich auch den wiedergewählten Regierungsräten und dem neu gewählten Regierungsrat Dieter Egli. Ich wünsche uns allen in unserer verantwortungsvollen Tätigkeit ergiebige, faire und konstruktive Debatten, in denen wir - trotz unterschiedlicher Standpunkte - respektvoll miteinander umgehen, einander zuhören und schliesslich nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden. Und dies auch im Wissen darum, dass die Stärke des Volkes sich am Wohl der Schwachen misst.

1997, im Jahr meiner Wahl in den Grossen Rat, ging die Suchmaschine Google online. Im damals noch 200-köpfigen Grossen Rat lief praktisch alles noch über Papier. Selbst die E-Mail, obwohl der Veteran unter den Kommunikationswegen im Internet, war noch nicht besonders etabliert unter den Ratsmitgliedern.  In den folgenden Jahren wurde das Internet kontinuierlich immer intensiver genutzt. Aber erst 10 Jahre später, 2007, nahm nach der Präsentation des ersten iPhones die Entwicklung des mobilen Internets Fahrt auf. Die Digitalisierung prägt heute weite Teile unseres Alltags und nimmt ihren Einfluss auch in der Politik. Dabei hat vor allem die Kommunikationsform über die sozialen Netzwerke und der dadurch entstandene direkte Kommunikationsweg mit den Wählerinnen und Wählern einen grossen Einfluss.

Das ist sicher die grösste Veränderung der letzten beiden Jahrzehnte, die auch unseren Umgang mit- und untereinander beeinflusst. Aufmerksamkeit ist die Währung unserer Zeit. Um sie wird in den sozialen Medien gestritten, auf Newsportalen, bei Fernsehsendern. Algorithmen lenken und kanalisieren unsere Aufmerksamkeit und beeinflussen auch unsere Meinung. Das Schrille, Pauschale, Simple bindet als Schlagzeile mehr Aufmerksamkeit als eine sachliche umfassende Darstellung. Politische Statements sind heute umgehend vermittelbar, aber auch Gehässigkeiten und Desinformationen sind zeitnah absetzbar. Politische Inhalte werden oft vereinfacht und zugespitzt präsentiert. Wir twittern immer und überall, und natürlich auch aus der laufenden Grossratsdebatte. Die Öffentlichkeit erfährt einen Ausschnitt aus der Debatte – oft herausgerissen aus dem Zusammenhang. Jede und jeder ist so gerne Sender, immer und möglichst auf allen Kanälen und kaum einer will mehr Empfänger sein, schliesslich geht es um möglichst viele Likes und Klicks. Es macht zuweilen den Anschein als wäre die wertvollste Tugend der Kommunikation – das aktive Zuhören aus der Mode gekommen. Hier haben wir als gewählte Volksvertreterinnen und -vertreter eine besondere Verantwortung, wenn wir unsere Glaubwürdigkeit bewahren wollen. Konzentrieren wir uns deshalb darauf, wertschätzend zuzuhören, aufeinander einzugehen und die eigene Position zu reflektieren, bevor wir uns äussern.  So, wie wir es hinter den Kulissen in der Regel sorgfältig und mit Sachverstand während unserer Kommissionsarbeit tun.  Wenn wir zuweilen auch den Druck verspüren, viel schneller handeln zu müssen, ist es notwendig sich zu fragen, wie viel Geschwindigkeit passabel ist und was die Qualität unserer Entscheide steigert. Der politische Prozess bietet nach meiner Erfahrung eine wohltuende Entschleunigung. An der grundsätzlichen Ordnung des kantonalen Parlaments hat sich seit seinem 218-jährigen Bestehen nämlich nicht viel geändert und das ist gut so. Wir vertreten als Grossrätinnen und Grossräte das Volk gegenüber der Regierung und üben in dieser Funktion die gesetzgebende Gewalt aus. Neben der Gesetzgebung fällt uns als zweite Hauptaufgabe die Oberaufsicht über alle Ämter und Stellen, die kantonale Aufgaben wahrnehmen, zu. Der in unserer schnelllebigen Zeit oft als schwerfällig und langsam empfundene politische Prozess mit erster und zweiter Lesung einer Gesetzesbotschaft erweist sich nach wie vor als Garant für gut fundierte Entscheide. Er zwingt uns dazu, uns genügend Zeit zu nehmen, um komplexe Themen vertieft auszuleuchten. Wir überprüfen bei jeder Gesetzesvorlage die Auswirkungen auf Umwelt, Klima, Gesellschaft, Wirtschaft und die personellen und finanziellen Auswirkungen auf Kanton und Gemeinden. Unsere Prioritäten setzen wir je nach ideologischer und politischer Ausrichtung unterschiedlich. Ich wünsche mir, dass wir uns vermehrt an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren und unsere Prioritäten danach ausrichten. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse sollten es uns einfacher machen, trotz politischer Differenzen die richtigen Prioritäten zu setzen. Vor drei Wochen las ich ein Zeitungsinterview eines jungen, neu gewählten Grossrats. Er forderte unter anderem, der Dialog zwischen Politik und Wissenschaft müsse vertieft werden. Bei der Bewältigung der Coronapandemie habe man gesehen, wie wichtig die Expertise der Wissenschaft für die Politik sei. Dieser Dialog müsse bei vielen andern politischen Entscheidungsfindungen ebenso stattfinden. Diese Einstellung eines frisch Gewählten gefällt mir sehr und stimmt mich zuversichtlich bezüglich richtiger Prioritätensetzung und Gestaltung einer nachhaltigen Politik. Sicher hat unser neuer Grossratskollege Lukas Huber mit seiner Aussage auch an Umwelt- und Klimafragen gedacht. Wie bei Corona müssten wir auch dort dank wissenschaftlichen Erkenntnissen Einsicht zeigen und handeln, bevor es zu spät ist. Wir alle kennen die Auswirkungen des Klimawandels. Sie kennen keine geografischen Grenzen. Sie betreffen die gesamte Bevölkerung und sind dort besonders spürbar, wo die Lebensgrundlagen von Menschen direkt von der Natur abhängen. Friedrich Dürrenmatt, der just am heutigen Tag seinen 100. Geburtstag feiern würde, sagte:  «Das Rationale am Menschen sind die Einsichten, die er hat. Das Irrationale an ihm ist, dass er nicht danach handelt.» Ich wünschte mir, dass wir rational handeln, wo wir Einsicht gewinnen und die Prioritäten künftig richtig setzen. Schliesslich geloben wir heute Nachmittag, als Mitglied des Grossen Rates unsere Verantwortung gegenüber Mensch, Gemeinschaft und Umwelt wahrzunehmen, die Wohlfahrt des Kantons Aargau und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu fördern und der Verfassung und den Gesetzen gemäss nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln.

Ich wünsche uns in unserer Arbeit viel Freude, Kreativität und Erfolg zum Wohle unseres Kantons und seiner Bevölkerung. Die Legislatur 2021/2024 des Grossen Rates des Kantons Aargau ist eröffnet.