Zur Strukturreform der Aargauischen Volksschule

Ist es Pisa, der Druck des Bundes oder die Zusammensetzung des neuen Parlaments? Jedenfalls scheint der Regierungsrat neuen Mut gefasst zu haben! Wir lesen, hören und staunen: In den bildungspolitisch schier erstarrten Aargau kommt endlich wieder Bewegung! In einem Strategiepapier legt der Regierungsrat dar, welche bildungspolitischen Weichenstellungen und Innovationen nötig sind, um den teilweise in Rückstand geraten Aargau für die Zukunft zu rüsten: Entwicklungsschwerpunkte sind Tagesstrukturen an der Volksschule, ein mit den übrigen Kantonen harmonisiertes Schulsystem, die Einführung vergleichender Leistungstests, Englisch an der Primarschule, Massnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit und die Stärkung des Hochschulraumes Nordwestschweiz. Je nach politischer Ausrichtung mag man am einen oder andern Vorhaben Freude haben oder eben nicht, schubladisieren oder gar bachab schicken indes lassen sich diese Massnahmen nicht (mehr), es sei denn, man wolle wissenschaftliche Erkenntnisse gänzlich ausblenden oder zum Standortnachteil des Aargaus einen isolationistischen Kantönlikurs fahren, welchen die Steuerzahler kaum mehr goutieren würden. Die Vorhaben dürften also in Politik und Gesellschaft künftig auf Zustimmung stossen. Allerdings wird die Breite der Zustimmung von der Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Finanzierung abhängen. Am meisten zu reden gibt wohl im Moment die beabsichtigte Umstellung der Primarschule von 5 auf 6 Schuljahre und die damit verbundene Ausgestaltung der verkürzten Oberstufe. Und da hat den Regierungsrat offensichtlich der Mut verlassen:  Einmal mehr sakrosankt scheint nämlich das Festhalten an den drei stur getrennten Leistungszügen Bez, Sek und Real. Dabei wäre diese Strukturreform die Chance zu einer generellen - auch inhaltlichen - Neukonzipierung der Sek I.  Jedermann weiss, dass die Trennung in mehrere Züge nicht zu den erhofften leistungsgleichen Gruppen führt, denn in jedem Zug ist ein grosser Teil des ganzen Leistungsspektrums vorhanden. Dies spricht eindeutig für eine flexiblere Gestaltung und Durchlässigkeit der Strukturen als wir sie heute haben. Ich spreche hier ausdrücklich nicht von einer Gesamtschule sondern von Stufen übergreifendem Niveau-Gruppenunterricht (wie sie z.B. im Kanton Zürich an der Gegliederten Sekundarschule stattfindet)  und einer verstärkten Zusammenarbeit an der gesamten Sekundarstufe I. Es ist äusserst wichtig, dass ein Oberstufen-Modell gewählt wird, dass die Chancengleichheit, die Durchlässigkeit und die Förderung aufgrund der individuellen Fähigkeiten und Begabungen gewährleistet. Eine starre Gliederung der Oberstufe, mit einer (Rest-) Realschule, wie wir sie heute haben,  ist nicht mehr zeitgemäss, da sich die Fähigkeitsprofile der Lernenden bekanntlich überlappen. Die PISA-Zusatzstudie, die im Jahr 2000 für St. Gallen gemacht wurde, zeigt, dass 40% aller Schüler/-innen der Real- und Sekundarschule die gleich hohe Leseleistung erreichen, das gleiche gilt für 60% der Schüler/-innen der Sekundarschule und des Gymnasiums und für 17% der Schüler/innen der Realschule und des Gymnasiums! Spätestens die vergleichenden Leistungstests am Ende der Oberstufe werden diesen Umstand auch im Aargau offensichtlich machen. Ich plädiere deshalb für eine Strukturreform, die die ganze Oberstufe neu konzipiert und zwar jetzt und nicht erst in 20 Jahren! 

August 2005